Haben sie sich schon mal überlegt, was für ein Organisationswunder unser Körper ist? Ein ausgewachsener Mensch hat ca. 75 Billionen Zellen. Jede Zelle hat eine eigene, ganz spezielle Aufgabe, die für sich genommen geringfügig ist. Aber wenn alle Zellen ihre Aufgaben im Einklang mit den anderen Zellen erledigen, gelingt unser Körper und es geht uns gut. Jede Zelle ist wichtig und trägt ihren Teil am „Großprojekt Körper“ bei. So stellen die Bauchspeicheldrüsenzellen wichtige Verdauungsenzyme her, um die Nahrung zu zerkleinern und aufzuspalten. Muskelzellen ziehen sich zusammen und ermöglichen uns so erst die Bewegung und Nervenzellen im Hirn koordinieren unsere Gedanken. Hautzellen schützen uns und „dichten uns ab“ sodass wir nicht auslaufen. Wir können uns das Zusammenspiel der Zellen im Körper vorstellen, wie die Musiker im Orchester. Wenn jeder Musiker im Einklang mit den anderen Musikern seine Stimme exzellent spielt, gelingt ein Meisterkonzert.
Die Zelle ist bestens für ihre Aufgabe ausgestattet. Damit sie diese aber exzellent ausführen kann, braucht Sie Energie und Nährstoffe. Da die Zelle in der Regel fest im Gewebe verankert ist, müssen die für sie notwendige Nährstoffe an die Zellewand geliefert werden, analog einem Arbeiter im Homeoffice, der die Pizza an die Haustür geliefert bekommt. Die Zelle nimmt die Nährstoffe dann auf und verarbeitet sie. Wie in der Küche beim Kochen fallen dabei Abfallprodukte an, die die Zelle nach außen befördert. Damit die Zelle nicht in ihrem eigenen Müll eingeht, müssen die Abfallprodukte anschließend abtransportiert werden. Die Zelle ist somit vom umliegenden Gewebe bezüglich Versorgung und Entsorgung abhängig.
Wie erledigt nun das umliegende Gewebe diese Aufgabe? Nun erst mal befinden sich in jeder Nachbarschaft von Zellen versorgende Kapillare. Das sind dünnste Adern, die die Aufgabe haben, die Nährstoffe und den Sauerstoff aus dem Blut in die Nähe der Zelle zu bringen. Kapillare sind die „Endstecken“ im Blutkreislauf. Hier gehen die Nährstoff-transportierenden Arterien in Abfall-abtransportierenden Venen über. Die Adern sind in den Kapillaren durchlässig, wie ein Sieb. Blutbestandteile wie Nährstoffe und Abfallprodukte, die kleiner sind, als die „Siebmaschen“ können beliebig in den Zwischenzellraum austreten bzw. wieder in den Blutkreislauf aufgenommen werden. Man kann sich den Blutkreislauf, wie eine Wasserversorgung mit laufendem Wasserhahn vorstellen. Das Wasser wird über dichte Leitungen bis an den Wasserhahn transportiert. Die Strecke zwischen Wasserhahn und Beckenabfluss entsprechen den Kapillaren. Hier können wir Wasser für unsere Versorgung entnehmen. Das Abwasser wird dann über den Abfluss in dichten Rohren entsorgt. Das entspricht unseren Venen. Nährstoffe werden also über die Arterien geliefert und Abfallprodukte über die Venen abtransportiert.
Nun gibt es aber für die Nährstoffe und Abfallstoffe zwischen den Kapillaren und der Zellwand noch eine kleine Stecke zu überwinden. Allgemein wird die Überwindung dieser Strecke mit der Kraft der Osmose begründet. Osmose nennt man vereinfacht gesagt den physikalischen Effekt, dass sich Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Bestandteilen miteinander homogen vermischen, wenn sie zusammengebracht werden. Beispiel: Sirup löst sich im Tee homogen auf, sodass der ganze Tee überall gleich süß schmeckt. Im Körper werden Dank der Osmose die süßen Glukosemoleküle, die aus der Ader ausgetreten sind, sich früher oder später mit der Flüssigkeit an der Zellwand vermischt haben, sodass diese genauso so süß ist, wie das Blut in unseren Adern. Die Zelle nimmt die Glukose auf und verringert dadurch die Glukosekonzentration, sodass neue Glukosemoleküle aus dem Blutkreislauf nachströmen.
Soweit die Theorie. Aber kennen sie den „Zucker im Tee“-Effekt? Das ist der immer wieder überraschende Effekt, dass wenn man einen Löffel Zucker oder Sirup in den Tee tut und nicht umrührt, der Tee im letzten Drittel der Tasse süßer schmeckt. Die süßen und neutralen Flüssigkeiten vermischen sich nicht sofort, sondern es dauert, bis die Flüssigkeiten homogen vermischt sind und die Osmose vollständig gewirkt hat. Ganz anders ist es, wenn man einmal mit dem Löffel umrührt. Dann schmeckt der Tee in jeder Höhe der Teetasse gleich süß. - So ein „Umrühren“ ist auch für die Versorgung unsere Zellen gut, damit die Flüssigkeiten im Körper effizient vermischt werden können und die Endstrecke zwischen Ader und Zelle optimal überwunden wird. Diesen Umrührmechanismus realisiert die Natur in unserem Wunderwerk Körper mit Hilfe der Faszien.
Wir Osteopathen sind davon überzeugt, dass jedes Organ und jede Struktur im Körper rhythmische Eigenbewegungen haben. Die Bewegungsrichtung, das Ausmaß, die Frequenz sowie Harmonie der Bewegung gesunder Organe gleichen sich bei allen Menschen. Die Bewegung ist immer da, geht nie schlafen oder in Urlaub – so wie der Herzschlag. Bei kranken Organen ist diese Bewegung eingeschränkt. Für Osteopathen, die gelernt haben diese Bewegung zu spüren, ist deshalb das „Abhören der Bewegung“ (= Listening) ein sehr wichtiges diagnostisches Mittel und das herstellen einer gesunden Bewegung ist Ziel einer osteopathischen Behandlung.
Wozu die Bewegung da ist und wie und wodurch sie erzeugt wird, ist umstritten.
In meiner Welt kommt die Bewegung von den Faszien, die jedes Organ und jede Struktur durchsetzt und umschließt. Mit der Fähigkeit sich zusammen zu ziehen und dehnbar zu sein, hat sie dazu die besten Voraussetzungen. Warum macht die Faszie das? Meines Erachtens dient die Eigenbewegung der Verbesserung der Ernährung der Zellen, indem sie sich immer wieder zusammen zieht, um danach elastisch in ihre neutrale Position zurück zu kommen. Durch das „Umrühren“ können die Flüssigkeiten besser die Stecke zwischen den Kapillaren und der Zelle überwinden. Die Zelle wird ständig mit allen notwendigen Nährstoffen umspült und ihre Abfallprodukte werden gemäß dem Konzentrationsgefälle Richtung „sauberen“ Blut abtransportiert, sodass die Zelle nicht im eigenen Müll vegetiert.
„Kranke Faszien“, die in ihrer Eigenbewegung eingeschränkt sind, führen im Umkehrschluss aber unweigerlich zu einer Minderernährung von Zellen. Die Zellen können dann ihre Arbeit nicht mehr adäquat erledigen, weil ihnen die Nährstoffe ausgehen und sie in ihrem eigenen Müll schwimmen. Es kommt zu Minder- oder Fehlfunktionen. Die Bauchspeicheldrüse stellt weniger Enzyme her, mit der Konsequenz, dass die Nahrung nicht mehr ausreichend aufgespalten wird und deshalb vom Darm nicht mehr aufgenommen werden kann. Es kommt zu und Verdauungsstörungen wie Blähungen, Verstopfung oder Durchfall. Bei Muskelzellen wird die Muskulatur schwach. Man verliert seine Leistungsfähigkeit und ist viel schneller erschöpft. Und die Nervenzelle im Gehirn koordiniert nicht mehr gut. Wir bekommen Konzentrationsprobleme und werden vergesslich. Die Haut reagiert mit Trockenheit und Ekzeme. Je länger die Faszie eingeschränkt ist, desto schlimmer werden die Fehlfunktionen. Wir nennen das dann „Krankheit“.
Leider bedeutet dies auch, dass die Selbstheilungskräfte nicht ausreichend wirken können, wenn die Eigenbewegung des Organs nicht passt. Denn natürlich sind auch die der Zelle innewohnenden Reparaturmechanismen betroffen. Den Zellen fehlen das Material und die Energie, um sich zu regenerieren.
Osteopathen beeinflussen und beschleunigen die Selbstheilung, in dem sie den kranken Strukturen ihre natürliche Eigenbewegung zurückgeben, sodass die Zellen wieder optimal versorgt werden. Danach braucht die Zelle Zeit, um sich selbst zu reparieren und regenerieren.
Aber was kann der „normale Bürger“ auf der Straße tun (wie mein Physiklehrer immer gesagt hat), um seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren? Nun wir haben gelernt, wir müssen die Flüssigkeiten im Zwischenzellgewebe zum Fließen bringen. Dies können wir z.B. mit folgenden Maßnahmen bewerkstelligen:
1. Bewegung: Wenn die Faszie die Bewegung nicht macht, dann machen eben wir sie und helfen ihr auf die Sprünge durch rhythmische Bewegung: "Leben ist Bewegung und ohne Bewegung findet Leben nicht statt.“ wie Moshe Feldenkrais schon erkannte. Ohne Bewegung geht nichts mehr, weil, wie wir jetzt wissen, unsere Zellen und Gewebe nicht mehr ausreichend versorgt werden. Also bewegen wir uns! Schmerzende Glieder, wie z.B. eine Schulter sollten vorsichtig und langsam ca. 12-15-mal pro Minute nur bis zur Schmerzgrenze bewegt werden. Dies immer wiederholen ca. 5 Minuten mehrmals am Tag. Mobilisation nennt man das in der Medizin. Ein Beispiel: schmerzt das Knie, sollte es langsam im schmerzfreien Bewegungsradius hin und her bewegt werden. Mit der Zeit nimmt der schmerzfreie Radius zu.
2. Auch bei operierten Strukturen ist es ratsam Faszienbewegungen nachzuahmen: gesunde Faszien bewegen sich in Wellen ca. 12-15-mal pro Minute entlang der Körperlängst-Achsen. Mit der flachen Hand die kranke Struktur großflächig erfassen und entlang der Körperlängsachsen innerhalb 3 Sekunden die Hand einen Zentimeter nach oben bewegen und dann 3 Sekunden einen Zentimeter nach unten bewegen.
3. Massage: Massage ist eine passive Bewegung. Auch sie sollte langsam und schmerzfrei sein, denn bei Schmerzen macht die Faszie noch mehr zu, wie wir im letzten Blog gelernt haben. Komme ich an die Stelle mit meinen Händen hin, kann ich das alleine bzw. ohne Hilfsmittel machen. Bei schwer zugänglichen Stellen, wäre ein Massagegerät angebracht. Auch hier wären mehrere Intervalle besser als einmal eine Stunde. – Also mehrmals am Tag
4. Immer wieder Haltungsänderung während der Arbeit: Was uns nicht guttut, ist Stillstand. Ruhig stehen, sitzen oder auch liegen ist Gift für unseren Körper, da in jeder starren Haltung eine Muskulatur angespannt werden muss, die dann Flüssigkeitsströme verhindern. Computerarbeit ist Schwerstarbeit für unsere Rückenmuskulatur und für die feinen Handmuskeln. Dementsprechend sind Rückenschmerzen und „Maushand“ vorprogrammiert. Aber auch permanentes Stehen, wie z.B. an einer Kasse oder hinter der Fleischtheke ist schlecht für die Zellen der Beine. - Positionswechsel, Zehenstand, Aufstehen und Gehen z.B. beim Telefonieren oder auch Pausen mit leichten aktiven Unterbrechungen sind geeignet.
5. Selbst die Selbstheilungskräfte unserer Innereien wie Lunge, Darm, Leber oder Unterleib können wir aktivieren. Tiefe Bauchatmung bewirkt, dass die inneren Organe rhythmisch nach unten gedrückt werden und dadurch mobilisiert werden. Oder im Vierfüßlerstand abwechselnd den Rücken krümmen, wie eine Katze und nach unten durchhängen lassen, wie bei einem Hängebauchschwein, bewirkt Bewegung in den Bauchorganen – jeweils 5 Minuten sollte langen.
6. Und nicht zuletzt, immer wieder Stressabbau: Stress schüttet Cortisol aus und Cortisol macht die Faszie hart. Dadurch verliert sie an Beweglichkeit. Die Eigenbewegung wird eingeschränkt und die Versorgung der Zellen gemindert.
… viel Spaß beim Ausprobieren.
Birgit Roppelt, Heilpraktikerin und Osteopathin aus Kolbermoor bei Rosenheim
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